Romantik in Deutschland: Auf der Suche nach dem Unendlichen

Romantik in Deutschland: Auf der Suche nach dem Unendlichen
Romantik in Deutschland: Auf der Suche nach dem Unendlichen
 
Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn,. .. dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, romantisiere ich es.« So beschrieb Novalis die Ziele der Romantik, die sich, in Deutschland an den »Sturm und Drang« anknüpfend, gegen das Vernunftdiktat der Aufklärung des 18. Jahrhunderts richteten. Auch sie hatte die engstirnigen Verhältnisse klerikal-absolutistischer Kleinstaaterei nicht ändern können. Nur im seelischen Erspüren geistiger Zusammenhänge schien ein neuer Lebenssinn zu liegen. Die von Herder aufgestellte Forderung, Geist und Seele in und hinter den sichtbaren Erscheinungen aufzudecken, begünstigte in Philosophie, Literatur, Musik und Malerei eine neue Psychologie des Unbewussten.
 
Die Verdrängung des wissenschaftlich-empirischen Weltbildes durch ein »poetisches« wurde zwischen 1798 und 1800 in der Zeitschrift »Athenäum« propagiert, dem Sprachrohr des Jenaer Kreises der Frühromantik um die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Caroline Schlegel, Novalis, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Schelling, Ludwig Tieck und Friedrich Schleiermacher. Der Gegenwart fehle eine verbindliche Mythologie, deren Inhalte und Symbole nur aus dem Schoß des Idealismus hervorzubringen seien; nur mit ihr könne die moderne Geschichte in ein wahrhaftes Gottesreich auf Erden münden. Dieser geschichts- und religionsphilosophische Messianismus bezog nicht zuletzt die Natur ein. August Wilhelm Schlegel verglich den stummen Dialog zwischen Betrachter und Natur mit der Kommunion, mancher protestantische Theologe stellte das Natur- neben das Sakramentserlebnis. In Wilhelm Heinrich Wackenroders Schlüsselroman der deutschen Romantik, den »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (1796/97), rückte auch die Kunst in die Nähe der Religion. Tiecks Künstlerroman »Franz Sternbalds Wanderungen« (1798) erhob das Mittelalter zum Vorbild für die Allianz von Kunst, Glaube und Leben.
 
Im Spannungsverhältnis von Begrenztem und Unbegrenztem, von Endlichem und Unendlichem bewegt sich grundsätzlich alles romantische Denken. Dennoch darf man die deutsche Romantik nicht nur unter dem Vorzeichen subjektiver Innerlichkeit sehen. Noch die Frühromantiker hatten gesellschaftspolitische Ideale: In der Französischen Revolution erkannten sie die Ursache eines neues Selbstbewusstsein des Individuums. Von den Auswirkungen der Revolution bald enttäuscht, beteiligten sie sich an den Freiheitskriegen gegen Napoleon, das Ziel eines deutschen Nationalstaats vor Augen, in dem das Bürgertum politische Mitsprache genießen sollte. Erst nach 1815, als Metternich im Deutschen Bund ein restauratives System errichtete und das Bürgertum, die Künstler und Intellektuellen von der Politik Abstand nahmen, zogen sich die Spätromantiker auf pure Innerlichkeit und provinzielle Enge zurück.
 
In der Malerei legten die Nazarener, der katholische Zweig der deutschen Romantik, christlich-mittelalterliche Traditionen und Werte ihrer angestrebten Nationalkunst zugrunde. Der bedeutendere protestantische Strang der deutschen romantischen Malerei schloss sich dagegen anfangs jener philosophischen Richtung an, die sowohl in der Vergangenheit als auch in der Natur die Ausgangsbasis für eine bedeutungsvolle Zukunft erblickte. Das romantische Programm prozesshaften Fortschreitens vom Endlichen ins Unendliche hatte den Verzicht auf jedes in sich geschlossene klassische Weltbild zur Folge; Kompositionen waren daher sowohl inhaltlich wie formal offen. Oft wurde dies von Zeitgenossen als Mystizismus verurteilt. So wurde der romantische Künstler häufig zum tragischen Außenseiter, äußerte sich das Scheitern der utopischen Ziele in Melancholie, im Freundschaftskult der wenigen Gleichgesinnten, im Rückzug auf die einsame Natur. In der Betonung des emotionalen Gehalts, der klassische Ausgewogenheit und inhaltliche Konvention ersetzte, ebnete die Romantik aber auch in vielem der modernen Kunst den Weg.
 
1805/06 entwarf Caspar David Friedrich Pläne für eine Kapelle auf Rügen, wo der evangelische Pfarrer Gotthard Kosegarten regelmäßig seine »Uferpredigten« hielt; Philipp Otto Runge steuerte 1806/07 das Gemälde »Petrus auf dem Meer« als Altarbild bei. Hier kreuzten sich die Wege der beiden bedeutendsten Maler der deutschen Romantik.
 
Runge - 1777 in Wolgast geboren, ausgebildet an den Akademien in Kopenhagen und Dresden, beeindruckt auch von den Werken der Engländer John Flaxman und William Blake - legte seinen vielfach allegorischen Bildideen die Barockmystik eines Jakob Böhme sowie Anregungen von Novalis, Tieck, Wackenroder, Fichte und Clemens Brentano zugrunde. Sein Pantheismus, seine Überzeugung von der »Allbeseelung«, wird besonders deutlich in dem unvollendeten Zyklus der »Vier Tageszeiten«, der christliche und mythologische Motive, Pflanzen und Landschaft in ornamentaler Komposition zum Gleichnis menschlichen Seins vereint. Farbe und Licht veranschaulichte Runge als Symbol »grenzenloser Erleuchtung« des Universums; diese Vorstellung suchte er 1810 - in Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre - auch theoretisch zu untermauern. Auf seiner Suche nach der ursprünglichen Einheit von Seele und Welt interessierte ihn ferner die Psyche des Kindes: Mit dem Gemälde »Die Hülsenbeckschen Kinder« (1805/06) schuf er eines der bedeutendsten Kinderbilder überhaupt. Der Landschaftsmalerei und den politischen Idealen der Frühromantik maß Runge aber nicht den hohen Stellenwert zu wie Caspar David Friedrich.
 
Friedrich, 1774 im damals noch schwedischen Greifswald geboren, studierte ab 1794 an der klassizistisch ausgerichteten Kopenhagener Akademie, zu deren Schülern später auch Runge, Georg Friedrich Kersting und der Norweger Johan. Christian Clausen Dahl gehörten. Seit 1798 lebte Friedrich in Dresden. Von hier aus unterhielt er Kontakte mit frühromantischen Natur- und Religionsphilosophen, darunter Schleiermacher und Kosegarten. 1807 begegnete er dem Dichter Heinrich von Kleist, von dem die einfühlsame Deutung des Bildes »Der Mönch am Meer« (1809/10) stammt. Kleist beschrieb die Einsamkeit des Menschen angesichts einer erhabenen, grenzenlosen Natur - ein Moment, der für Friedrichs Landschaftsmalerei charakteristisch wurde, in der oft von hinten dargestellte Figuren vom Bergesgipfel herab oder an der Meeresküste auf den fernen Horizont blicken. Der jahreszeitliche Wechsel wird ebenso wie an- und abfahrende Schiffe zum Sinnbild des Erdenlebens; Nacht, Nebel, Regenbogen, gotische Kathedralen und Ruinen, Kreuze oder Leichenzüge symbolisieren Friedrichs Auffassung, dass die Natur von kosmischen und göttlichen Kräften durchdrungen sei.
 
Schon in sein erstes Ölbild, den 1808 vollendeten »Tetschener Altar«, floss aber auch Friedrichs antinapoleonische, nationalliberale Gesinnung ein. Fichte hielt in dieser Zeit seine »Reden an die deutsche Nation«, Ernst Moritz Arndt publizierte seine vaterländischen Schriften, Stein, Hardenberg und Wilhelm von Humboldt konzipierten ihre Reformen Preußens. Vor diesem Hintergrund ist Friedrichs Patriotismus, der sich wegen der französischen und später der Metternichschen Zensur nur versteckt - etwa in Motiven wie altdeutscher Tracht oder Hünengräbern - kundtun konnte, als politisch engagierte Haltung und als Idee künftiger menschlicher Heimat zu verstehen. Erst nach dem Scheitern seiner politischen Hoffnungen zog sich Friedrich in eine verinnerlichte, rein stimmungshafte Malerei und in ein eigenbrötlerisches Leben zurück.
 
Gerade die Friedrichsche »Innenschau«, seine Todesmelancholie und seine überkonfessionelle Religiosität beeindruckten seine Zeitgenossen. Georg Friedrich Kersting spezialisierte sich auf ein typisch romantisches Sujet, für das Friedrich wichtige Beispiele geliefert hatte: Innnenraumszenen, die durch geöffnete Fenster oder Türen den Blick ins Freie führen und den Kontrast von Enge und Weite, beschaulicher Nähe und Fernweh thematisieren. Karl Friedrich Schinkel, der wichtigste klassizistische Architekt Deutschlands, verarbeitete in Gemälden, Bühnenbilder und Panoramen Landschaftselemente und gotische Gebäude, die an Friedrich orientiert sind. Auch Karl Blechen, einer der bedeutendsten deutschen Landschaftsmaler, griff auf beliebte Motive aus Friedrichs Fundus zurück, ehe er sich einer realistischeren, kühnen Freilichtmalerei zuwandte. In der Freisetzung der malerischen Mittel in der Landschaftsmalerei lag zweifellos die große zukunftweisende Leistung. Trotzdem schob sich seit etwa 1835 mit den Bildern von Ludwig Richter und Moritz von Schwind eine Märchen- und Gartenlauben-Idyllik in den Vordergrund, welche die inhaltlich und formal fortschrittlichen Konzepte der Frühromantik verdrängte und zum Biedermeier überleitete.
 
Dr. Norbert Wolf
 
 
Börsch-Supan, Helmut: Die deutsche Malerei von Anton Graff bis Hans von Marées. 1760—1870. München 1988.
 Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne. Sonderausgabe München1997.
 Einem, Herbert von: Deutsche Malerei des Klassizismus und der Romantik. 1760—1840. München 1978.
 
Europäische Kunst im 19. Jahrhundert. Vaughan, William: Band 1: 1780—1850. Vom Klassizismus zum Biedermeier. Aus dem Französischen. Freiburg im Breisgau u. a. 1990—91.
 Hofmann, Werner: Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830. München 1995.
 Hofmann, Werner: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts. München 31991.

Universal-Lexikon. 2012.

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